#GRI2016 – Nachhaltigkeitsberichte boomen, aber Format und Verbreitung in der Kritik
Die Global Reporting Initiative hat seit 1997 die Art, wie wir über Nachhaltigkeit berichten, maßgeblich geprägt. Auf einer internationalen Konferenz gaben Experten nun einen Ausblick auf die Zukunft: Die wird bestimmt sein von Big Data und der Suche nach alternativen, glaubwürdigen Formaten und Verbreitungswegen. Und dann gibt es da noch die SDGs als neuen und noch immer unscharfen Masterrahmen. Ein Bericht aus Amsterdam.
Von Dr. Elmer Lenzen
Der Verdienst von GRI ist es, seit der Gründung vor bald 20 Jahren eine gemeinsame Sprache und ein akzeptiertes Set von Themen und Indikatoren geschaffen zu haben. Das ist hilfreich, denn viele Grabenkämpfe um die Relevanz von Daten, etwa zu Klimawandel oder Menschenrechten, entfallen mit Hinweis auf diesen globalen Standard.
Alle zwei Jahre lädt die Global Reporting Initiative (GRI) zu einer internationalen Konferenz nach Amsterdam ein. Neben der Vernetzungsmöglichkeit ist dies auch stets ein guter Anlass, sich über die neuesten Trends und Themen beim Reporting kundig zu machen. Mit 1.200 Teilnehmern aus mehr als 70 Ländern war die 5. GRI Global Conference 2016 tatsächlich sehr international. Und das ist wahrscheinlich die erste Quintessenz: Nachhaltigkeitsberichte sind für immer mehr Firmen rund um den Globus Teil des Geschäftsalltags. Dazu tragen gesetzliche Verpflichtungen bei wie etwa in Frankreich und Dänemark und ab 2017 für eine ausgewählte Gruppe von Unternehmen EU-weit. Verpflichtung kommt aber auch von privater Seite: Die japanische Börse hat angekündigt, dass GRI-Reporting für ihre Mitglieder verpflichtend wird. Auch Einkäufer fordern dies immer stärker von ihren Lieferanten, um Risiken zu reduzieren.
Einzug in die „C-Suite“
75 Prozent aller Nachhaltigkeitsberichte weltweit werden, so der derzeitige Stand, nach GRI verfasst. Die Stimmung in den Boards ändert sich, bestätigt auch John Elkington, einer der international anerkanntesten Stimmen beim Thema CSR. Das Wissen sei zwar schon vorher da gewesen, nur habe es niemanden interessiert. Doch gesetzliche Verpflichtungen wie auch erkennbare Risiken bei Themen wie Klima, Compliance und Lieferkette führen zum Umdenken.
GRI ist mit ihrem Thema nachhaltige Reportingstandards also in der sogenannten C-Suite der Geschäftsführer angekommen. Mit ihrem erreichten Marktanteil sind sie in der Tat der wichtigste globale Standard und Referenzpunkt, auch wenn in den USA der SASB oder auch der Deutsche Nachhaltigkeitskodex DNK, der europaweit als Sustainability Code auftritt, derzeit noch dagegenhalten. Der UN Global Compact mit seinen Fortschrittsberichten (CoPs) als potenziell vierte Berichtsoption hat sich da schon weitgehend aus dem Rennen verabschiedet und sucht den Schulterschluss mit GRI. Global Compact-Chefin Lise Kingo empfahl dies auf der Konferenz nochmals ausdrücklich.
Aus GRI G4 wird GRI Standards
Das neue Selbstbewusstsein der GRI zeigt sich auch in der Ankündigung, die gerade erst eingeführten „GRI G4“ Richtlinien (gültig seit 2016) zu überarbeiten und ab 2017 in „GRI Standards“ umzufirmieren. Der Hintergedanke ist dabei durchaus benutzerfreundlich: Bisher waren alle Überarbeitungen der Richtlinien mit einer globalen, grundlegenden Veränderung verbunden. So waren die Übergänge von G1 zu G2 bis hin zu G4 jedes Mal prinzipieller Natur. Künftig soll das Grundkonzept von G4 erhalten bleiben und nur noch punktuell nachgeschärft werden. Dazu werden die Einzelthemen in Module aufgespalten. Updates gibt es dann nur noch zu den jeweiligen Modulen. Die Nutzer wissen so auf einen Blick, welche Bereiche unverändert sind. Anpassungen in den Unternehmen, also bei den Nutzern, sind dadurch weniger aufwendig.
Die Angst vor dem Daten-Tsunami
Reporting steht am Ende eines Prozesses, bei dem Informationen und Daten erhoben werden. So können Handlungen daraus abgeleitet werden. „What you measure, you can manage“. Dabei liegt heute das Problem immer weniger auf der Seite der Datenerhebung und deren Verfügbarkeit. Dank Internet und weltweiter Arbeitsteilung leben wir heute in einer Zeit der Hypertransparenz und der damit verbundenen Informationsüberflutung. Elkington spricht hier treffend davon, dass ganze Tsunami-Wellen an Daten und Informationen auf die Firmen einstürzen. Das sei eine Belastung, jetzt gelte es, daraus auch Chancen zu kreieren. Monique van Zijl von Oxfam International springt ihm bei: Daten an sich seien tot, so die NGO-Vertreterin. Durch Interpretation wird daraus erst Sinnhaftes. Zu dieser Frage der Sinngebung gehört für GRI-Chef Michael Meehan vor allem der Einsatz von Software-Tools, um das Wesentliche zu destillieren. Meehan setzt darauf, dass Simplizität und Key Facts die Finanzmärkte ansprechen und über diesen Hebel die Vorstände der C-Suites CSR in ihrem Unternehmen vorantreiben.
Wo sind die glaubwürdigen Auskunftsstellen?
Das Problem der Daten-Tsunamis hat neben der Bewertung und Einordnung von Informationen im Sinne der Erkenntnisfindung aber noch eine zweite Ebene: Die fragt danach, wie die Erkenntnisse am glaubwürdigsten vermittelt werden können. Elkington wies darauf hin, dass immer weniger Stakeholder es akzeptieren, wenn Unternehmen Nachhaltigkeitsinformationen allein auf ihren Firmen-Webseiten oder gar in einem PDF verstecken. Das kann Monique van Zijl bestätigen: Die meisten Firmen sehen sich mit einer fundamentalen Glaubwürdigkeitskrise konfrontiert. Trotz oder gerade deshalb boomen die Nachhaltigkeitsberichte. Nachhaltigkeit nur über einen „Corporate Kanal“ zu kommunizieren, ist aber keine Antwort auf die Skepsis der Zielgruppen. Unternehmen sind deshalb gut beraten, neue Formate und Orte für die Vermittlung ihres Engagements zu finden. Innovative, visuelle, eher auf Infografiken setzende Formate eignen sich für die Kommunikation und Verbreitung in den sozialen Medien. Hintergrundberichterstattung, Interviews und Features dagegen sind die Formate der journalistischen Medien. Ob soziale oder journalistische Medien, beide Formate verfügen über eine hohe Glaubwürdigkeit bei den Kernzielgruppen und das ist der Resonanzboden, auf dem unternehmerische Transparenz funktioniert.
Die SDGS – The next big thing?
Mit der Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs) durch die UN Ende letzten Jahres hat die Weltgemeinschaft einen neuen, verbindlichen Referenzrahmen für die Nachhaltigkeitsstrategie bis 2030 geschaffen. Die SDGs sind dabei zunächst eine politische Agenda, aber auch Unternehmen als Teil der Gesellschaft sind ausdrücklich eingebunden. Schließlich zeigen die SDGs, so der UN-Tenor, den Firmen, was wichtig ist und was die Menschen weltweit fordern. Doch wie soll das in der Unternehmenspraxis gehen? Hier herrscht doch noch große Unklarheit, wie auch die GRI-Konferenz zeigte.
Ole Lund Hansen, Chef des Leadership Programms des UN Global Compact, berichtete, dass in einer Umfrage nur 13 Prozent der Firmen angaben, geeignete Tools für die SDGs zu kennen. Das war für den Global Compact im Verbund mit GRI der Anlass, den sogenannten „SDG Compass“ zu entwickeln. Hansen: „Da ist nichts im Kompass, der Unternehmen dazu verleitet, ihre bisherigen Aktivitäten über den Haufen zu werfen oder zurückzustellen“. Es gehe vielmehr um eine Neueinordnung und darum, mögliche blinde Flecken aufzuzeigen. Der Global Compact versteht sich dabei als Übersetzer der SDGs in Unternehmenssprache.
Zur Unternehmenssprache gehört auch der „Business Case“. Und hier fehlt es doch offensichtlich noch an Erfahrungen, Ideen und Vorbildern. Rodney Irving, Director Financial Capital beim WBCSD, forderte dies ein. „Philanthropie ist keine Lösung. Einzig neue Märkte generieren neues Geschäft.“ Doch wer schafft neue Märkte? Wer bezahlt wofür auf diesen neuen Märkten? Wie macht man moralisch integre Geschäfte mit der Armut? Die sogenannten „Botttom of the Pyramide“-Produkte wie Vitamin-angereicherte Grundnahrungsmittel sind so eine Idee. Viele weitere Innovationen müssen aber noch folgen. Immerhin, die SDGs harmonieren mit den GRI-Kriterien, wie der SDG Compass zeigt. Damit eröffnen sich für die GRI-Standards weitere Einsatzgebiete.
CSR noch zu oft Nischenthema
Bald 20 Jahre nach ihrer Gründung hat GRI jede Menge Grund zum Feiern. Es gibt aber auch Anlass, Wasser in den Wein zu schütten. So drehen sich noch immer viel zu viele Diskussionen und Vorträge um die eine, alles entscheidende Frage: Dienen Nachhaltigkeitsindikatoren, sogenannte CSR-KPIs, als Tool ffür tägliche Unternehmensentscheidungen? So sind Nachhaltigkeitsthemen zwar prinzipiell in der besagten C-Suite angekommen und man adressiert es durch einen jährlichen Bericht. Aber ist deshalb die tägliche Arbeit der Vorstände nachhaltiger? Eher selten. So berichtet Bob Cameron von SustainAbility, dass Vorstände ihm off the record Recht geben und zustimmen, dass die Situation weltweit ethisch und ökologisch nicht in Ordnung sei. Aber eine Handlungsanleitung ergibt sich für sie daraus oft nicht. Die philosophische Grundfrage bleibt so in vielen Vorstandsköpfen unbeantwortet: Kann ein Unternehmen in einer unnachhaltigen Welt überhaupt nachhaltig sein? Hier können Reporting und GRI Fakten beisteuern, aber die Antwort kommt dann doch aus einer größeren Flughöhe.